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Das Kohlberg-Schema

Lawrence Kohlbergs (1927-1987) sechs moralische Entwicklungsstufen

Das Heinz-Dilemma

In einem fernen Land liegt eine Frau, die an einer besonderen Krebsart erkrankt ist, im Sterben. Es gibt eine Medizin, die diese Frau retten könnte. Es handelt sich um eine besondere Form von Radiumpräparat, das ein Apotheker in der gleichen Stadt erst kürzlich entdeckt hat. Die Herstellung ist kompliziert und sehr zeitaufwendig, weshalb der Apotheker 2000 Taler für eine Dosis verlangt - zehn Mal soviel wie ihn der Rohstoff kostet.

Heinz, der Ehemann der kranken Frau, sucht alle seine Bekannten und Freunde auf, um sich das Geld zu leihen, er bemüht sich auch um eine Unterstützung durch die Behörden. Doch er bekommt nur 1000 Taler zusammen, also die Hälfte des verlangten Preises. Er stellt dem Apotheker die Situation dar und bittet ihn, ihm das Medikament billiger zu verkaufen bzw. ihn den Rest später bezahlen zu lassen (sofern er nicht noch eine zweite Dosis benötigt). Doch der Apotheker sagt: „Nein, ich habe das Mittel entdeckt und mit großen Arbeitsaufwand entwickelt, ich muss damit mein Geld verdienen. Soll ich bei jedem Patienten eine Ausnahme machen?“

Heinz ist verzweifelt und überlegt, ob er in die Apotheke einbrechen und das Medikament für seine Frau stehlen soll.

Sechs Lösungen des Dilemmas

  1. Ja, wenn jemand stirbt und wenn man diesen Menschen wirklich liebt, dann ist das eine legitime Entschuldigung, aber nur unter diesen Umständen und wenn man das Medikament auf keine andere Weise bekommen kann.

  2. Ja, wenn er bereit ist, die Konsequenzen aus dem Diebstahl zu tragen, also eine Verurteilung zu einer Geldstrafe oder zu gar Gefängnis; er sollte das Medikament stehlen, es seiner Frau verabreichen und sich dann den Behörden stellen.

  3. Nein, ich meine, er sollte auf keinen Fall stehlen. Er könnte ins Gefängnis kommen. Er sollte einfach nicht stehlen.

  4. Nein, Heinz steht vor der Entscheidung, ob er berücksichtigen will, dass andere Menschen das Medikament ebenso sehr benötigen wie seine Frau. Er sollte nicht nach den besonderen Gefühlen zu seiner Frau handeln, sondern auch den Wert aller anderen Leben an sich bedenken.

  5. Ja, ein Menschenleben ist unbegrenzt wertvoll, während ein materielles Objekt – in diesem Fall das Medikament – das nicht ist. Das Recht der Frau zu leben rangiert vor dem Recht des Apothekers auf Gewinn.

  6. Ja, er sollte stehlen. Der Apotheker ist habgierig, und Heinz braucht das Medikament nötiger als der Apotheker das Geld. Ich würde es tun und das restliche Geld vielleicht später zurück bezahlen.

Moral Judgement Interview

Interview-Fragen zum Heinz-Dilemma

  1. Sollte Heinz das Medikament stehlen? Warum (nicht)?
  2. Wenn die Versuchsperson den Diebstahl befürwortet hat: Wenn Heinz seine Frau nicht liebt, sollte er dann das Medikament für seine Frau stehlen? Wenn die Versuchsperson den Diebstahl abgelehnt hat: Macht es einen Unterschied, ob Heinz seine Frau liebt oder nicht?
  3. Angenommen, die Person, die im Sterben liegt, ist nicht seine Frau, sondern ein Fremder. Sollte Heinz das Medikament für einen Fremden stehlen? Warum (nicht)?
  4. Angenommen, es handelt sich um ein Haustier. Sollte Heinz unter diesen Um-ständen das Medikament ebenfalls stehlen?
  5. Ist es wichtig, dass Menschen alles versuchen, was sie können, um das Leben eines anderen zu retten?
  6. Es ist gesetzeswidrig, wenn Heinz einen Einbruch und einen Diebstahl begeht. Ist deshalb automatisch auch das Handeln moralisch falsch?
  7. Sollten Menschen im Allgemeinen alles versuchen, um dem Gesetz Folge zu leisten? Warum (nicht)?
  8. Wenn Sie noch einmal auf Ihre erste Antwort zurückkommen: Was wäre das Verantwortungsvollste, was Heinz tun könnte?

Hinweise für die Interviewer

  • Erkläre der Versuchsperson zuerst, dass es sich um ein ganz harmloses Interview handelt, bei dem sie nicht getestet oder psychologisch untersucht wird, sondern lediglich ihre spontanen Antworten auf ihren Grad an moralischer Differenzierung untersucht werden. (Dadurch stärkst du deine Integrität.)
  • Erkläre dann, dass die Antworten mit der gebotenen Anonymität und ohne Konsequenzen bei späteren Begegnungen behandelt werden. (Dadurch betonst du deine Neutralität.)
  • Sorge für eine angenehme Interview-Atmosphäre, in der der Interviewte gerne und offen spricht!
  • Lies das Heinz-Dilemma nicht vor, sondern erzähle es und erlaube Nachfragen, um des exakten Verständnisses willen.